Zinswende

Der Zins, der Zins und noch einmal der Zins

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2024

Die Pandemie scheint überwunden, den Gasschock nach der russischen Invasion in der Ukraine haben wir verdaut, und an die globalen Spannungen in der Weltpolitik gewöhnen wir uns. Den letzten Paukenschlag, den wir in Deutschland auf dem Nachrichtenmarkt vernommen haben, setzte das Bundesverfassungsgericht. Im Vergleich zu Kriegen und Viren klingt der Notstand im Bundeshaushalt jedoch eher wie ein sanftes Kratzen über dem Becken des Schlagzeugs. Wie dem auch sei, die Stimmung im Land ist schwer wiederzugeben. Eins ist klar: Die Sehnsucht nach Normalität nach den Krisen ist groß.

Aktienkurse vor einem Hochhaus
Die Finanzwelt sucht nach Anlagechancen: Es ist noch viel Geld geparkt, das investiert werden muss. Foto: iStock / hallojulie

Die Finanzmärkte spiegeln freilich die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage in der Welt wider. Nach einem turbulenten Jahresauftakt haben sie sich im Laufe des Jahres etwas beruhigt. Sogar eine „Jahresendrallye“ bahnt sich zum Redaktionsschluss an. Die Sehnsucht nach der Normalität darf aber nicht den Blick auf die tatsächliche Lage verstellen. Risiken schweben nach wie vor reichlich über der Wirtschaft und damit über der Börse. So sieht auch die Europäische Zentralbank (EZB) die europäischen Finanzmärkte in ihrem halbjährlichen Finanzstabilitätsbericht weiterhin in einem fragilen Zustand.

„Die schwachen Wirtschaftsaussichten und die Folgen der hohen Inflation belasten die Fähigkeit von Menschen, Unternehmen und Regierungen, ihre Schulden zu bedienen“, sagte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos zur Vorlage des halbjährlichen Finanzstabilitätsberichts der Notenbank. Von entscheidender Bedeutung sei, dass wir wachsam bleiben, während sich die Wirtschaft auf ein Umfeld höherer Zinssätze in Verbindung mit wachsenden Unsicherheiten und geopolitischen Spannungen einstellt, führte de Guindos weiter aus.

Zinswende: Kampf gegen die Inflation

Im Kampf gegen die Inflation hat die Notenbank die drei Leitzinssätze seit Juli 2022 in zehn Schritten angehoben. Der für den Finanzmarkt relevante Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, liegt bei vier Prozent – der höchste Stand seit Start der Währungsunion im Jahr 1999. Aufgrund der hohen Leitzinsen sind die Kredite deutlich teurer geworden. Das trifft die Unternehmen, die Investitionen finanzieren wollen, die Projektentwickler, die bauen möchten, oder Verbraucher, die vom Eigenheim träumen – also eine weit gefächerte Bandbreite von Marktteilnehmenden.

Die starke Leitzinsanhebung der Notenbanken, auch die der US-amerikanischen Fed, hatte im März ein Bankenbeben ausgelöst. Einige US-Regionalinstitute gingen pleite, die Schweizer Großbank Credit Suisse musste von der UBS gerettet werden, die Angst vor einer neuen Finanzkrise ging um. Je deutlicher die Spuren sind, die die hohen Zinsen in der Wirtschaft hinterlassen, umso mehr wächst die Hoffnung an den Märkten, dass nun die Zinswende kommt. Jedenfalls ist der Zins zu einem omnipräsenten Thema geworden, wann immer über die Aussichten an den Aktienmärkten diskutiert wird.

Traditionell verheißen steigende Zinsen bekanntlich fallende Kurse und umgekehrt. Doch während zuletzt der Zinsanstieg den Börsen gar nicht so viel anhaben konnte, speist die Aussicht auf die Zinswende neuerliche Kursgewinne. Das zeigt: Trotz aller Probleme in der Welt ist die Zahl der unerschütterlichen Optimisten auf dem Parkett erstaunlich groß.

Ob wir die Talsohle und damit den konjunkturellen Wendepunkt schon erreicht haben und uns in den kommenden Jahren tatsächlich in neue Höhen aufschwingen, weiß indes niemand genau. Die US-Notenbank Fed spricht mittlerweile von einem Zinsplateau, von dem aus es aber Mitte 2024 wieder Zinssenkungen geben könnte. Eine ähnliche Entwicklung wird für die Zinsen im Euroraum prognostiziert. Die zugrunde liegenden Faktoren wie die schleppende Konjunktur sowie die brisante Haushaltslage auf beiden Seiten des Atlantiks werden über den Zinsmechanismus wieder zum Hoffnungsschimmer an den Börsen. Vielleicht ist es aber auch Zweckoptimismus, der die Kurse stützt. Es ist eben – wie ein Analyst erklärt – noch sehr viel Geld geparkt, das investiert werden muss.

Betongeld weiter beliebt

Möglicherweise ist der Optimismus aber immer noch besser, als angesichts bedrohlicher Nachrichten in Angst zu verfallen. „Angst macht wach, das ist ein evolutionärer Impuls, aber Angst macht auch dumm“, sagte einst der Zukunftsforscher Matthias Horx. Deshalb seien alle Angstprognosen auch immer falsch. Ohnehin gibt es ja nicht nur den Aktienmarkt. Wem die Aktienmärkte zu unvorhersehbar sind, der setzt auf Betongold – seit jeher eine der beliebtesten Anlageformen der Deutschen, weil es als realer Sachwert gilt. Zwar sind auch Unternehmensbeteiligungen in Form von Aktien reale Sachwerte, Immobilien lassen sich jedoch besser greifen. Doch auch am deutschen Immobilienmarkt herrscht Unsicherheit. Nach einer Dekade rasant steigender Preise, niedrigster Hypothekenzinsen und spendabler Banken zwingen die aktuellen Daten zum Umdenken. Aufgrund der gestiegenen Zinsen sind die Immobilienpreise zuletzt stark korrigiert worden, institutionelle Immobilieninvestoren und börsennotierte Immobilienentwickler mussten massive Abschreibungen vornehmen. Und auch die Unsicherheiten hinsichtlich zukünftiger energiepolitischer Regelungen und Rahmenbedingungen – Stichwörter Heizungsgesetz und energetische Sanierung – bremsen Immobilienanlegerinnen und Immobilienanleger. Einer Untersuchung des Deutschen Anlage-Immobilien Verbundes (DAVE) zufolge haben die Preise zuletzt in allen 25 untersuchten Städten in Deutschland und Österreich noch einmal nachgegeben; in den Metropolen sank in nahezu allen Assetklassen die Zahl der Transaktionen. „Es ist aber auch festzustellen, dass der Markt nach der Schockstarre infolge der Multikrisen mit dem Krieg in der Ukraine, der Zinswende, wirtschaftlicher Stagnation, hoher Inflation und gestiegener Baukosten zwischenzeitlich in eine Findungsphase eingetreten ist“, sagt DAVE-Geschäftsführer Guido Stracke. Seiner Beobachtung nach stellten sich Banken, Investorinnen und Investoren sowie Objektverkäuferinnen und Objektverkäufer auf die neuen Realitäten ein. Zudem habe sich die Inflation verlangsamt, und manche Kosten – etwa für Baumaterialien – seien wieder auf ein Normalniveau gesunken. „Diese Entwicklungen tragen in der Summe dazu bei, dass Immobilieninvestitionen wieder planbarer sind“, so Stracke. Er erwartet denn auch, dass sich der Immobilienmarkt nach der Konsolidierungsphase im kommenden Jahr wiederbeleben werde.

Als sicherer Hafen in volatilen Zeiten gelten vielen Anlergerinnen und Anlegern nach wie vor auch Sachwertanlagen in Edelmetalle wie Gold und Silber. Die werfen zwar keine Renditen ab, zeigen sich aber meist wertstabil. Zudem könne Gold im Ernstfall als Tauschmittel dienen, so ein Argument. Da die Rohstoffe allerdings meist in US-Dollar gehandelt werden, wirken sich Wechselkurse entscheidend auf die Preisfindung aus. Mehr denn je erscheint in diesen Zeiten aber der Rat versierter Fachleute gefragt. Vermögensverwalterinnen und Vermögensverwalter können derzeit die Zahl ihrer Klientinnen und Klienten steigern. Die erwarten von den Profis nicht nur eine Einschätzung zur künftigen Entwicklung an den Märkten, sondern auch den Überblick über die vielfältigen Finanzinstrumente – denn da hat der Markt ja auch einiges zu bieten.

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