Zinswende

Trügerische Zeichen?

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2024

Die Notenbanker geben Signale, auf die die Wirtschaft und die Kapitalmärkte schon lange gewartet haben. So hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins im Juni auf 4,25 Prozent gesenkt. Und auch die US-Notenbank Fed peilt für dieses Jahr eine erste Zinssenkung an. Doch die globalen Rahmenbedingungen bergen weiterhin große Risiken, und die Inflation in Europa und den USA ist längst noch nicht auf den angestrebten Bereich gesunken. Für Kapitalanleger ist die Lage nicht einfacher geworden.

Ein Mann in einer Silhouette hält einen fallenden Dominostein auf, um eine Kettenreaktion zu verhindern. Die Szene spielt sich vor einem klaren, blauen Himmel mit ein paar leichten Wolken ab. Die Sonne scheint am Horizont und wirft Lichtstrahlen über die
Krisenmanagement ist gerade in unsicheren Zeiten essenziell. Foto: iStock / Dilok Klaisataporn

Endlich ist sie da – die Zinswende: Im Juni verkündete die EZB die nach fast fünf Jahren erste und vom Markt mit Spannung erwartete Zinssenkung für den Euroraum. Die Notenbanker kappten den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent und den für Banken wichtigen Einlagensatz von 4,00 auf 3,75 Prozent. Es ist allerdings fraglich, ob die EZB die Zinsen bald weiter senkt. Zumal die Währungshüter der Fed den US-Leitzins in der Spanne von 5,25 bis 5,50 Prozent beließen. Auf eine erste Zinssenkung jenseits des Atlantiks hoffen die Finanzmärkte nun im September.

Laut EZB-Chefin Christine Lagarde befindet sich die Geldpolitik im Euroraum dennoch weiterhin im restriktiven Bereich. Sie will konsequent weiter darauf hinarbeiten, die Preissteigerung wieder auf die Marke von zwei Prozent zu drücken. In den Projektionen der Bank wird dies im kommenden Jahr der Fall sein. „Wir verzeichnen Wachstum in einer Zeit, in der die Inflation sinkt“, fasst Lagarde die positive Stimmung zusammen. 

Bessere Konjunkturprognosen

Auch für Deutschland werden die Konjunkturprognosen optimistischer – wenn auch auf niedrigem Niveau. So hoben zuletzt gleich mehrere der führenden Konjunktur-Institute ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum an.

Gründe dafür sind positive Daten zu den Realeinkommen und Exporten sowie zur Stimmung in den Unternehmen. So erwarten die Experten, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 0,3 Prozent und 2025 dann um ein bis 1,5 Prozent wachsen wird. Damit wäre der Umschwung da. Noch bis in das Frühjahr hinein hatten Ökonomen reihenweise ihre Prognosen gesenkt. Gleichzeitig bleibt aber auch hierzulande die Inflation hartnäckig: Im Mai zogen die Verbraucherpreise um 2,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat an, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Im März und April lag die Inflationsrate mit jeweils 2,2 Prozent noch auf dem niedrigsten Wert seit rund drei Jahren.

Drei Frachtcontainer, die an Ketten hängen und miteinander kollidieren. Die Container sind jeweils mit den Flaggen der Europäischen Union, der Vereinigten Staaten und Chinas bemalt. Der Hintergrund zeigt einen bewölkten Himmel.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China, den USA und Europa sind derzeit angespannt. Foto: iStock / wildpixel

Zukunft ungewiss

Jedoch: „Die wirtschaftlichen Aussichten sind unsicher“, warnt die Fed weiterhin. Zwar ist die Inflation weltweit zurückgegangen, erweist sich aber doch als hartnäckiger als anfangs angenommen. Treiber ist nach wie vor der in vielen Industrienationen starke Arbeitsmarkt: Das Beschäftigungswachstum ist nach wie vor hoch, die Arbeitslosigkeit niedrig, und das Lohnwachstum hat in den meisten großen Volkswirtschaften mit der Inflation Schritt gehalten. In der Vorzeigenation USA erweist sich auch die Wirtschaft als robust – die Notenbanker prognostizieren Wachstumsraten von 2,1 Prozent in diesem und zwei Prozent im kommenden Jahr. Neben Inflation und mauen Konjunkturaussichten belasten zudem weitere Risiken die Finanzmärkte. Die geopolitischen Verwerfungen und Konflikte sorgen für Unsicherheiten. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine mit all seinen Sanktionen, Embargos und Drohgebärden, der Konflikt im Gazastreifen und nicht zuletzt die Sorge um einen Angriff Chinas auf Taiwan beunruhigen die Märkte. Gerade Letzterer hätte fatale Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, gilt die kleine Insel vor der chinesischen Küste mit 23 Millionen Einwohnern doch als der Hotspot für die globale Chip-Produktion. Ein solcher Konflikt hätte einen globalen ökonomischen Schaden in Höhe von zehn Billionen Dollar – etwa zehn Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung – zur Folge, schätzt der Informationsdienstleister Bloomberg Economics – und wäre damit wohl weitaus folgenreicher für die Wirtschaft als die gesamte Coronakrise. Derzeit geht jedoch nicht nur die Sorge vor weiteren militärischen Auseinandersetzungen um, auch ein Handelskrieg mit dem Reich der Mitte könnte die Weltwirtschaft vor große Herausforderungen stellen. Der Grund: Da China die USA mit billigen, stark subventionierten Produkten flute, so der Vorwurf, steigen nun die Einfuhrzölle auf chinesische Waren teilweise auf 50, bei E-Autos gar auf 100 Prozent. Das setzt die EU unter Druck, könnte China doch gewillt sein, die für den US-Markt bestimmten E-Autos nun nach Europa zu exportieren. Die EU prüft jetzt also ihrerseits, Strafzölle auf chinesische E-Autos zu verhängen – was wiederum deutschen Autobauern schlecht bekommen dürfte. Denn die Sorge vor der Antwort Chinas mit ebensolchen Restriktionen für europäische Unternehmen geht um. Davon, wie die Verhandlungen ausgehen, wird viel abhängen.

Zinswende: Geduld gefragt

Düstere Aussichten also? Die Aktienmärkte zeigten sich davon in den vergangenen Monaten ziemlich unbeeindruckt. Der Zinsschritt der EZB allerdings, der immer als positives Signal herbeigesehnt wurde, rief indes auch kaum Reaktionen hervor. Anlegerinnen und Anleger brauchen in solch unsicheren Zeiten vor allem eins: Geduld. Geduld, die hilft, die aktuelle Situation mit all ihren Verwerfungen besser einschätzen und einen kühlen Kopf bewahren zu können. Außerdem wichtig in dieser Zeit der Umbrüche: Diversifikation – und zwar nicht nur an den Aktienbörsen über Branchen, Regionen und Unternehmensgrößen hinweg, sondern auch in anderen Assetklassen. Gerade in einem Umfeld mit höheren Zinsen können Anleihen eine sinnvolle Ergänzung des Portfolios sein. Edelmetalle, allen voran Gold, und natürlich Immobilien gelten nach wie vor als sicherer Hafen. Und Kryptowährungen wie der Bitcoin können wohl immer wieder Chancen für risikoaffine Anleger bieten.

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