Wirtschaftsstandort Deutschland

Die Krise als Chance begreifen

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2023

Die Energiekosten sind hoch, die Infrastruktur ist marode, Breitbandanschlüsse fehlen fast so sehr wie Fachkräfte, und die Bürokratie zieht bei den Unternehmen die Daumenschrauben immer stärker an – der Wirtschaftsstandort Deutschland verliert an Attraktivität. Aussichtslos ist die Lage aber (noch) nicht.

Eine Hand stoppt umfallende Dominosteine.
Deutschland muss jetzt die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft stellen. Foto: iStock / photobyphotoboy

Die Ergebnisse sind alarmierend: Im aktuellen Standortranking „Länderindex Familienunternehmen“, das das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung zum neunten Mal im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen berechnet hat, landet Deutschland nur noch auf Platz 18 unter den 21 betrachteten Industriestaaten – und damit vier Plätze weiter unten als bei der letzten Erhebung. Schlechter schnitten nur Ungarn, Spanien und Italien ab. Auf den ersten Plätzen landeten die USA, Kanada, Schweden und die Schweiz. 

Der „Länderindex Familienunternehmen“ untersucht die wichtigsten Standortfaktoren für Familienunternehmen. Es werden dafür sechs Themenfelder in den Blick genommen: „Steuern“, „Arbeitskosten, Produktivität, Humankapital“, „Regulierung“, „Finanzierung“, „Infrastruktur und Institutionen“ sowie „Energie“. „Insbesondere in den Bereichen Regulierung, Steuerbelastung und Energie wird Deutschland ungünstig bewertet. Beim Thema Infrastruktur vergrößert sich zudem der Abstand zu den Spitzenstandorten“, heißt es in der Studie. Vergleichsweise günstig werde hingegen die finanzielle Stabilität des deutschen Standorts eingeschätzt. 

in Wirtschaftsstandort Deutschland Krisenstimmung allerorten

Es sind Klagen, die derzeit allerorten zu vernehmen sind: Die ohnehin schon hohen Energiepreise sind mit dem Ukrainekrieg und dem daraus folgenden Energiepreisschock im vergangenen Jahr in für viele Unternehmen nicht mehr stemmbare Höhen geschossen. Nun sinken sie langsam wieder – doch die Unsicherheit in Bezug auf eine verlässliche Energieversorgung bleibt. Ebenso liefen die Aufwendungen für eine überbordende Bürokratie aus dem Ruder. Gleichzeitig seien die Steuer- und Abgabenbelastung weiter hoch. „Bei der Steuerlast für Familienunternehmen rangiert Deutschland weiterhin auf dem vorletzten Platz“, lässt die Stiftung Familienunternehmen wissen. „Auch das Verhältnis Arbeitskosten und Produktivität zeigt einen ungünstigen Trend im Vergleich zu den Wettbewerbern.“ Das liegt wohl auch in der demografischen Entwicklung und dem Fachkräftemangel begründet. Arbeitnehmende haben immer mehr Einfluss auf Gehälter und Arbeitsbedingungen – Unternehmen müssen vielen Forderungen zustimmen, wollen sie ihre offenen Stellen überhaupt besetzen. 

Deutschland auch bei Fachkräften wenig beliebt

Helfen könnte gerade bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels die Migration. Doch auch hier zeigt sich: Deutschland ist im internationalen Vergleich bei qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland weniger attraktiv. Einer OECD-Studie zufolge sei die Bundesrepublik in den vergangenen drei Jahren bei hochqualifizierten Fachkräften aus dem Ausland in der Beliebtheit vom 12. auf den 15. Platz zurückgefallen. Deutschland schneide bei der Digitalisierung der Visaverfahren nicht gut ab. Das mindere die Attraktivität. Außerdem gebe es einen Punkteabzug wegen abgelehnter Visaanträge von hochqualifizierten Fachkräften. Verbessern sollten sich in der Bundesrepublik die Chancen ausländischer Akademiker, hochqualifizierte Jobs entsprechend ihren Kompetenzprofilen zu besetzen, die zögerliche Einbürgerungspraxis und die schleppende Digitalisierung, hieß es.

Unternehmen zieht es ins Ausland

Werden die Standortbedingungen hier vor Ort als allzu negativ wahrgenommen, ziehen Unternehmen dorthin, wo es attraktiver scheint, so die Befürchtung. So denkt einer Umfrage des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) zufolge jeder vierte mittelständische Unternehmer über eine Produktionsverlagerung ins Ausland nach. Die wachsende Unzufriedenheit mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland liegt vor allem an den hohen Energiekosten, am Fachkräftemangel und einer stetig wachsenden Bürokratie. Und auch eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zeigte zuletzt: Deutsche Firmen wickeln ihre Geschäfte zunehmend aus Kostengründen im Ausland ab. So ziele fast jede dritte Auslandsinvestition (32 Prozent) auf das Einsparen von Kosten ab – der höchste Wert seit 15 Jahren. Vor zehn Jahren waren die geringeren Kosten noch der Grund für jede fünfte Auslandsinvestition gewesen. Gründe für die Investitionsunlust hierzulande seien neben den vergleichsweise hohen Kosten auch die Subventionen, mit denen Länder wie die USA derzeit winken.

Reformdruck steigt

Für DIHK-Geschäftsführer Martin Wansleben ist die schwindende Investitionsbereitschaft der Firmen in Deutschland ein Alarmzeichen. „Das ist geradezu ein Weckruf für bessere Standortbedingungen“, schrieb er in einem Rundbrief an die Chefs der regionalen Industrie- und Handelskammern. Er fordert, dass die Politik entsprechende Gegenmaßnahmen ergreift und für steuerliche Entlastung der Unternehmen sorgt. Außerdem müsse sie steuerliche Anreize schaffen, um das Investieren wieder attraktiver zu machen.

Auch ZEW-Ökonom und Mitverfasser des Standortrankings Friedrich Heinemann fordert jetzt das entschlossene Eingreifen der Politik. Er plädiert dafür, die gegenwärtige Krise als Chance zur Umkehr und Beschleuniger von Reformen zu begreifen. Lähmende Regulierungslasten müssten abgebaut werden. In der Steuerpolitik müsse Deutschland wieder stärker Fragen der Wettbewerbsfähigkeit fokussieren. Mit Blick auf den Fachkräftemangel ist eine echte Wende in der Bildungspolitik nötig; die Genehmigung und Durchführung öffentlicher Investitionsvorhaben müsse sich in der Breite beschleunigen. Warum Heinemann aber trotzdem optimistisch in die Zukunft blickt, erklärt er im Interview auf Seite 9.

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