Deutschland als Wirtschaftsstandort

Der Charme der Grautöne

Von Michael Gneuss und Jens Bartels · 2024

Kranker Mann Europas oder die wirtschaftliche Lokomotive des Kontinents? In der öffentlichen Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland bestimmen oft Extreme das Bild. Dabei ist die Qualität des Standortes deutlich vielschichtiger: Sowohl Stärken als auch Schwächen kennzeichnen das Land. Allerdings wächst der Handlungsdruck – soll die Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft sichergestellt sein, muss jetzt viel passieren.

Geschäftsmann betrachtet ein digitales Netzwerk von Verbindungen über Deutschland, das Wirtschaft und Standorte symbolisiert.
Der Standort Deutschland braucht eine allumfassende digitale Vision. Foto: iStock / metamorworks

Egal, ob Umfragen, Studien oder Analysen: Regelmäßig gibt es frische Zahlen, die belegen sollen, wie sich Deutschland im internationalen Standortwettbewerb schlägt. Eine Studie der privaten Schweizer Hochschule IMD etwa kommt zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik im Standortwettbewerb weiter zurückfällt. Deutschland liegt in dem aktuellen Ranking auf Platz 24, zwei Plätze schlechter als im Vorjahr. Vor zehn Jahren erreichte Deutschland noch Rang sechs. Insgesamt lässt die IMD in ihr Ranking nicht nur das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die Produktivität einfließen, sondern auch politische, soziale und kulturelle Dimensionen. Gerade mit Blick auf die öffentliche Diskussion über die Notwendigkeit von Reformen weist die Studie auf wichtige Aspekte hin: So ist Deutschland zum Beispiel bei der Frage, wie effizient die Regierung die Wettbewerbsfähigkeit fördert, nur noch auf Platz 32 zu finden. Im Vorjahr schaffte sie es noch auf Platz 27. Auch bei der Frage, wie innovativ, rentabel und verantwortungsvoll Unternehmen arbeiten, rutscht Deutschland ab. Besonders schlecht sei die Bundesrepublik im internationalen Vergleich darin, neue Dinge aufzugreifen: In dieser Disziplin belegte Deutschland nur Platz 64 der insgesamt 67 untersuchten Länder.

Schwachpunkte angehen

Offen ist, wie die Gesellschaft mehr Mut und Zuversicht aufbauen kann, um sich bietende Chancen zu nutzen. Dagegen ist es an der Zeit, bekannte Schwachstellen im internationalen Standortwettbewerb endlich anzugehen. Einen guten Überblick über die Probleme liefert eine aktuelle Umfrage des Münchner ifo Instituts. Als Schwachpunkte nennen die befragten 180 Professorinnen und Professoren der Volkswirtschaftslehre an deutschen Universitäten vor allem die Bürokratie (87 Prozent), die Kosten und die Unsicherheit über die Verfügbarkeit von Rohstoffen und Energie (73 Prozent) sowie die mangelnde Digitalisierung (67 Prozent). In neun von 13 erhobenen Kategorien der Umfrage sehen die Experten häufiger eine Schwäche als eine Stärke Deutschlands im internationalen Vergleich. Insgesamt geben die Teilnehmenden dem Standort Deutschland im internationalen Vergleich die durchwachsene Schulnote 3,4. 

Immerhin führt die Umfrage aber auch positive Aspekte auf. Zu den Stärken des Standortes zählen die Ökonomen die politischen Institutionen (67 Prozent), die Bildung und die Ausbildung der Beschäftigten in Deutschland (53 Prozent) sowie die Sicherheit und die geringen geopolitischen Risiken (43 Prozent). 

Interesse am Land: Deutschland als Wirtschaftsstandort

Insofern überrascht es nicht, dass sich größere Unternehmen aus aller Welt mitunter auch ganz bewusst für den Wirtschaftsstandort Deutschland entscheiden. Etwa im Bereich der Hochtechnologie zählt die Bundesrepublik zu den gefragten Ländern für ausländische Direktinvestitionen. So baut der globale Riese Microsoft sein neues europäisches Rechenzentrum in Nordrhein-Westfalen ganz ohne Subventionen. Auch der US-Chip-Hersteller Intel schlägt seine Zelte in der Bundesrepublik auf und wird seine neue Giga-Fabrik in Magdeburg bauen. Etwa 10.000 Arbeitsplätze sollen dabei rund um die Ansiedlung entstehen. Mit mehr als 30 Milliarden Euro ist es die größte Einzelinvestition in der Bundesrepublik. Beliebt für Unternehmensansiedlungen der Chip-Industrie bleibt auch das sogenannte Silicon Saxony rund um die sächsische Landeshauptstadt Dresden. Hier fand im August 2024 der erste Spatenstich für ein Werk des taiwanesischen Auftragsfertigers TSMC statt. An dem Milliardenprojekt mit dem Namen European Semiconductor Manufacturing Company (ESMC) beteiligen sich neben dem größten Mikrochip-Hersteller der Welt auch die deutschen Konzerne Bosch und Infineon sowie die niederländische NXP-Gruppe mit je zehn Prozent.

Für ein starkes Deutschland müssen alle Akteure ihren Beitrag leisten. Foto: iStock / Stadtratte

Auf Stärken besinnen

Wer also den Wirtschaftsstandort Deutschland betrachtet, tut gut daran, sämtliche Stärken und Schwächen in den Blick zu nehmen. Dies hat auch das volkswirtschaftliche Kompetenzzentrum KfW Research getan: Die Experten der KfW haben in ihrer aktuellen Standortstudie beobachtet, dass die gute wirtschaftliche Entwicklung den Handlungsdruck bei den sich abzeichnenden strukturellen Herausforderungen lange verringert hat. Für diese Einschätzung ist relevant, dass Deutschland in der Periode von 2005 bis 2020 das einzige G7-Land war, dem es gelungen ist, beim kaufkraftbereinigten Pro-Kopf-Einkommen zu den USA aufzuschließen. Außerdem wuchsen von 2012 bis 2023 die deutschen Exporte von Waren und Dienstleistungen preisbereinigt um 27 Prozent und damit schneller als etwa die von Kanada (23 Prozent) oder den USA (17 Prozent). 

Erst mit den Schocks der vergangenen Jahre, angefangen mit der Coronapandemie seit 2020, fällt Deutschland auf hohem Niveau zurück. In der andauernden konjunkturellen Schwäche besteht nach Überzeugung von KfW Research aber nun die Gelegenheit, von einer in vielen Bereichen noch guten Ausgangslage auf Stärken aufzubauen und Schwächen in den Griff zu bekommen. Nur so ließe sich die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland auch künftig sicherstellen. Dazu müssen alle Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ihren Beitrag leisten. Packen wir es an!

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